Das Wendalinum ab 1945

1945 begann abermals ein neuer Abschnitt in der Entwicklung der Schule. Bei Kriegsende war das Gebäude Kriegslazarett. Nach dem Einrücken der Alliierten wurde es von einer französischen Kriegsschule belegt. Der Chef dieser Schule forderte am 29. September 1945 vom Direktor die Schlüssel zum Hause und allen Räumen. Für die Lehrer begannen Epurationsverfahren. Dem Direktor wurde unter Belassung seines Titels und der Gehaltsstufe die Leitung der Schule entzogen  – nach Meinung der meisten Lehrer unbegründet – . Sie wurde dem Oberstudiendirektor Dr. Peter Schindler übertragen. Für den 1. Oktober 1945 verfügte das Regierungspräsidium in Saarbrücken die Eröffnung der Schulen. Die Militärverwaltung stellte für diesen Tag die Aula des Gymnasiums zur Verfügung. Es war der erste Schultag im Frieden nach einem schauerlichen Jahrzehnt. Der Direktor schloß seine geistvolle Rede mit den Worten: „Wir dürfen wieder gut sein. Wir dürfen wieder Gutes tun. Wir sind frei im Geist“.

Eine Liste von 1944 verzeichnet 41 Lehrkräfte an der Schule. Die Zahl ist aber rein theoretisch. Viele waren aus dem Kriege noch nicht zurück, in Gefangenschaft oder vom Dienst suspendiert. Das Schuljahr 1945/46 mußte mit 20 Lehrkräften beginnen, von denen einige bereits im Ruhestand waren und sich wieder zur Verfügung gestellt hatten.

Den 18 Klassen, denen 614 Unterrichtsstunden zustanden, konnten 148 Stunden nicht gegeben werden. Der Unterricht begann am 2. Oktober im jetzt wieder „Cäcilienvolksschulhaus“ genannten Gebäude. Die Raumnot war angesichts der Klassenzahl groß. Die Schüler nahmen bei den mangelhaften Verkehrsverhältnissen große Strapazen auf sich. Nicht weniger wurde von den Lehrern gefordert, die zusehen mußten, wie sie für ihre Familien Nahrung und Brennstoff besorgten. Schließlich wurde der Unterricht so verteilt: die Oberstufe hatte nur nachmittags Unterricht, und zwar in der Oberschule für Mädchen, die Mittelstufe vormittags in der Cäcilienschule, die Unterstufe ebenfalls, aber nur ein über den anderen Tag. Für diese Klasse verteilte sich der Wochenplan über drei Wochen. Die Sexta begann, wie die vorherige Oberschule, wieder mit Englisch. Aber auf die Forderung der Militärregierung hin wurde in allen Klassen, selbst in der Prima, auf Französisch umgestellt. Von OIII ab wurde nach Wahl der Schüler ein gymnasialer Zweig mit Griechisch und ein realer wiederum mit Englisch eingerichtet. In den folgenden Jahren begannen die Sexten mit Latein und Französisch zugleich.

Im ersten Schuljahr kamen auch die Schüler an die Schule zurück, die ein „Notabitur“ oder nur den Vorsemestervermerk auf den Zeugnissen hatten. Sie traten in die Klassen ein, aus denen sie vorher entlassen worden waren, und versuchten, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, ein ordentliches Abitur zu machen. Daß es ihnen nicht geschenkt wurde, zeigt die Tatsache, daß 1947 18 von diesen Schülern zum Abitur zugelassen, 6 jedoch in die Unterprima zurückversetzt wurden.

Am 23. Februar 1946 räumte die französische Einheit das Gebäude. Die Sammlungen waren erbrochen und ausgeplündert, das Archiv teilweise zerstreut, die Bibliothek war glimpflich davongekommen. Nach den notwendigen Aufräumungsarbeiten konnte die Schule bezogen werden. Auch das Landesstudienseminar wurde ihr angeschlossen und blieb an der Anstalt bis Juni 1947. Um den auswärtigen Schülern das Leben zu erleichtern, richtete das Missionshaus auf Bitten des Direktors ein Schülerheim ein, das  am  1. September 1953 durch ein solches in der „Urweilermühle“ ersetzt wurde. Es war für die damaligen Verhältnisse sehr gut hergerichtet und wurde unter dem damals die Anstalt leitenden Oberstudiendirektor Karl Palz eingeweiht. Prof. Dr. Schindler war nämlich am 7. Mai 1952 plötzlich nach langem Herzleiden verschieden. Sein Begräbnis gestaltete sich zu einer ergreifenden Feier der Anerkennung und tiefen Verbundenheit vieler Mensche im Lande mit ihm. 

Während dieser ersten Jahre einer Erziehung im neuen Geiste hatte die Schülerschaft – wie aus den Abiturzeugnissen zu ersehen ist – gute und sehr gute Ergebnisse erzielt. Am deutlichsten zeigt dies das Jahr 1950, in dem 3 Kandidaten der Schule die Prüfung mit „sehr gut“ bestanden; im Jahre 1947 war es überhaupt nur einer im Lande, im Jahre 1948 waren es im ganzen 4. Die Form des Zentralabiturs nach dem französischen Modell war 1947 eingeführt worden. Sie blieb bis 1951 bestehen. Immer wieder forderten Schreiben der Regierung dazu auf, die Aufregung der Schüler vor dem Abitur zu bekämpfen, bis dieses psychologische Motiv zur Beseitigung dieses Prüfungmodus führte. Seitdem findet das Abitur an der Anstalt statt. Die Aufgabenstellung bleibt aber zentral, die Korrektur ist doppelt und anonym. Die mündliche Prüfung wird durch eine Kombination von Fachlehrern und einer fremden Prüfungskommission durchgeführt.

In das Jahr 1949 fiel die 125-Jahrfeier des Gründungstages der Schule. Im Vergleich zur Feier von 1924 war sie bescheiden. Das Kultusministerium war nicht einmal vertreten, umso zahlreicher die Behörden und Kirchen, das Hohe Kommissariat und die Schulen der Stadt. Was war der Grund dafür? Die Mittel des Kultusministeriums trafen erst ein, nachdem die Feier im Raum der Aula bereits gehalten war.

Im Unterricht dieser Jahre spielte in den deutschkundlichen Fächern der Europagedanke eine besondere Rolle. Im Jahre 1955 schrieb der damalige Unterprimaner Wilfried Schuth im internationalen Aufsatzwettbewerb den besten Aufsatz der Schule und gewann unter 800 Schülern aus 8 europäischen Ländern die Goldmedaille des Europarates. Den 1. Preis des Saarlandes hatte in einem solchen Wettbewerb im Jahr zuvor der damalige Oberprimaner Alfred Kuhn gewonnen. 

In diesem Zusammenhang muß noch etwas anderes erwähnt werden. Den Europagedanken vertraten wohl alle Lehrer der Schule damals, auch die Kollegen, die die offizielle Propaganda mit diesem Gedanken zur politischen Verewigung des damaligen Status unserer Heimat nicht billigten, an ihrer Spitze der schon verstorbene Prof. Dr. Schindler. Drei von ihnen beließen es allerdings nicht bei der stillen Mißbilligung, sondern setzten sich in der Arbeit im Untergrund zur Rückführung der Saar nach Deutschland ein, und schließlich traten sie – als die Parteien zugelassen waren – beim Abstimmungskampf 1955 ins vorderste Glied.  Die Sympathie des Kollegiums zeigte sich deutlich, als zwei in persönliche Gefahr zu geraten schienen.

Noch ein besonderes Ereignis kennzeichnete das folgende Schuljahr. Am 6. Oktober fand die erste Wiedersehensfeier der „Vereinigung ehemaliger Abiturienten und Schüler des Gymnasiums St.Wendel“ statt. Etwa 250 Ehemalige waren anwesend, vor allem solche der älteren Jahrgänge. Der Initiator dieses Treffens war Studienrat Dr. Walter Kirsch. 

Am 30. April 1957 trat O.-Stud.-Dir. Palz in den Ruhestand. Während der Vakanz bis Ostern 1958 nahm Oberstudienrat E. Scholl die Geschäfte wahr, bis der am 1. 2. 1958 zum Oberstudiendirektor ernannte Oberstudienrat Peter Gärtner aus Merzig die Leitung übernahm. Im Jahr vorher, am 28. Februar 1957, war die große Belastung der Schüler der Eingangsklassen mit zwei Sprachen – Latein und Französisch – beseitigt worden. Der alt- und neusprachliche Zug begann in der Sexta mit Latein, in Quarta mit Französisch. Im Jahre 1958 sind innerhalb von fünf Tagen vier auffallende Ereignisse zu vermerken: Am 1. Oktober feierte in unserer Aula – seit 1928 der Festsaal in St. Wendel – die Stadt ihr 625jähriges Bestehen. Ferner wurde gleichzeitig die Volkshochschule gegründet. Am 4. Oktober war in aller Schüler Munde der Start des Sputnik 1, und am 5. war das zweite Treffen der ehemaligen Schüler, auf dem auch der ehemalige Abiturient, spätere Assessor an der Schule und damalige Kultusminister Dr. Röder eine Ansprache hielt.

 Das Eintreten Direktor Gärtners brachte für die Schule neue Anregungen. In einer Reihe von Konferenzen wurde über den Bildungswert der Fächer diskutiert, vor allem den der Fremdsprachen. Aber die Last der schulischen Arbeiten brachte die Sache zum Erliegen. Die Behandlung dieser Fragen war im Grunde die Fortsetzung der Antrittsrede des Direktors in der Aula über die „Gefahren der Allgemeinbildung und ihre Überwindung“.

Nicht nur die wissenschaftliche, sondern auch die musische Welt ist an der Schule daheim. Sie ist Gegenstand einer Arbeit der Fachleute. Es muß jedoch in der Geschichte der Schule festgehalten werden, daß im Jahre 1960 auf Initiative  von  Dr. Kirsch unter der Ministerpräsidentschaft      Dr. Röders ein Wunsch des inzwischen pensionierten Musiklehrers Frantz in Erfüllung ging: Es wurde eine neue Orgel in die Aula eingebaut. Sie sollte ein tönendes Mahnmal für die in den beiden Weltkriegen gefallenen Lehrer und Schüler sein. Sie hat 18 Register nach dem Vorbild einer Barockorgel aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Sie hat seitdem unzähligemale geistigen Genuß bereitet unter den Händen der Musiklehrer und Schüler, auch der Meisterschüler aus der Schule.

Da die Schule eine von jenen Anstalten war, die zur pädagogischen Ausbildung der Referendare im ersten Ausbildungsjahr bestimmt wurden, häuften sich seit 1962 die Zugänge junger Kollegen. Sie brachten schöpferische Unruhe und neue Anregungen wissenschaftlicher und pädagogischer Art für die Kollegen, die als Mentoren mit ihnen befaßt und für sie verantwortlich waren. Es waren im Laufe der Jahre 68.

Die Schule zählte damals 1 Oberstudiendirektor, 2 Oberstudienräte, 22 Studienräte, 8 Assessoren, die Referendare des Anstaltsseminars und 660 Schüler in 23 Klassen. 1964 standen die Oberstufenschüler vor einem besonderen Problem. Sie mußten sich aufgrund der Saarbrücker Rahmenvereinbarung (Oberstufenreform) auf Kernpflichtfächer, verbindliche Unterrichtsfächer, Wahlpflichtfächer und freiwillige Unterrichtsveranstaltungen festlegen. Den Schülern wurde an dieser Schule die Möglichkeit geboten, an freiwilligen Unterrichtsveranstaltungen teilzunehmen. Da dieser Unterricht vielfach mit dem Wahlpflichtfach gekoppelt war, mußte an die Schüler die selbe Anforderung gestellt werden. Deshalb sah das Kollegium sich veranlaßt, den Schülern Noten zu geben für ihre Leistungen, wie sie den Teilnehmern am Unterricht im Wahlpflichtfach gegeben wurden. Es gab aber um diese Regelung bei der Reifeprüfung oft Auseinandersetzungen mit dem Prüfungskommissar. Seit nach Einführung des numerus clausus die Teilnahme an freiwilligen Unterrichtsveranstaltungen keinen Notenniederschlag mehr findet, geht das Interesse an ihnen verständlicherweise zurück.

Die Oberstufenreform wurde zunächst von den Schülern begeistert begrüßt; sie glaubten nämlich, sie erleichtere ihnen das schulische Leben. Schon bald trat eine Ernüchterung ein, als sie feststellten, daß sie beim Studium nicht mehr die frühere Bewegungsfreiheit hatten. Überhaupt führte die Regelung nicht zu dem beabsichtigten Ergebnis, weil die Schüler in den Freistunden keine Räume und keine Bibliotheken zur Verfügung hatten, mit deren Hilfe sie ihre Kenntnisse in den gewählten Fächern hätten vertiefen können: dies aber war als das eigentliche Ziel der „Saarbrücker Rahmenvereinbarung“ angesehen worden.

Das Jahr 1965 brachte für die angehenden Sextaner wiederum eine Änderung. Die Aufnahmeprüfung wurde an den Volksschulen durchgeführt, auf deren Empfehlung hin die Schüler an den weiterführenden Schulen aufgenommen wurden. Nur nichtempfohlene Schüler mußten sich künftig einer Aufnahmeprüfung unterziehen. Die Schülerfrequenz lag am 16. 3. 1965 bei 763.

Im Zuge der Vereinheitlichung des Schulwesens in der Bundesrepublik wurden für 1966/67 zwei Kurzschuljahre angeordnet: 1. Kurzschuljahr vom 1. 4. bis 30. 11. 1966, 2. Kurzschuljahr vom 1. 12. 1966 bis Juli 1967. Diese Verkürzung brachte natürlich eine Änderung der Lehrpläne und eine Intensivierung des Unterrichts mit sich.

Im Jahre 1968 beendete Oberstudienrat Peter Gärtner seine Dienstzeit. Mit der Leitung der Schule wurde Herr Dr. Horst Hubig beauftragt. Damals trat der Elternbeirat an den Direktor heran mit der Bitte, eine der künftigen Sexten mit Französisch als erster Fremdsprache beginnen zu lassen, statt mit Latein. Für das Schuljahr 1968/69 war dies nicht mehr möglich, für das Schuljahr 1969/70 wurde die Einrichtung einer Sexta nach der Regelform des neusprachlichen Gymnasiums bei entsprechender Klassenfrequenz vom Ministerium zugesagt. Die Schule billigte diese Regelung, allerdings nur um der Durchlässigkeit zur Realschule willen, betonte aber die Notwendigkeit ihrer Forderung, den Griechischunterricht nicht zu gefährden, was nur möglich wäre, wenn mindestens zwei Sexten mit Latein bestehen blieben. 

Am 17. 4. 1969 verfügte das Ministerium, daß im folgenden Schuljahr an den beiden St. Wendeler Gymnasien sowohl Mädchen wie Jungen entweder in Latein, Französisch oder Englisch als erster Fremdsprache unterrichtet werden sollten. Das Ministerium ging von der Annahme aus, daß die Anmeldungen ausreichten für mindestens 5 Sexten. Die Erziehungsberechtigten sollten die Sprache bestimmen können. Sie mußten aber eine Ausweichmöglichkeit für die Einweisung der Sextaner oder Sextanerinnen geben für den Fall organisatorischer Schwierigkeiten bei der Errichtung der Sexten. Dieses Prinzip führte an beiden Schulen zu verstärkter Koedukation.

Am 25. 2. 1970 entschied das Kultusministerium nach Aussprachen der beiden Kollegien untereinander, daß die Leiter der beiden Gymnasien gemeinsam über die neu zu errichtenden Klassen 5 und deren Sprachenfolge befinden sollten unter Berücksichtigung der Wünsche der Erziehungsberechtigten. An dieser Schule wurden 3 Sexten mit 120 Schülern und Schülerinnen eröffnet, so daß der Direktor bei der zunehmenden Koedukation zusehen mußte, daß mehr weibliche Lehrkräfte an die Schule kämen. 

Nach dem Willen des Elternbeirats der Schule sollte bei nicht eindeutigen Zahlenverhältnissen Latein den Vorrang vor Französisch haben. Das hatte seinen Grund darin, daß die Leitung der Schule unter allen Umständen das Ausbleichen der Griechischklassen bei zu schmaler humanistischer Basis in Sexta verhindern wollte, zumal an diesem Zweig unbedingt festgehalten werden sollte. Die tiefere Ursache dieser Vorgänge waren die neuen bildungspolitischen Tendenzen, die dem humanistischen Gymnasium gar nicht hold waren.

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